Nebra by Thomas Thiemeyer
Autor:Thomas Thiemeyer
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2010-12-01T23:00:00+00:00
32
Sonntag, 27. April
Hannah erwachte aus tiefem Schlaf. Fahles schottisches Morgenlicht fiel durch die halb geschlossenen Vorhänge und warf einen milchigen Streifen auf ihr Kopfkissen. Sie stöhnte.
Der gestrige Abend war lang gewesen. Ein Abend voller dunkler Andeutungen und geheimnisvoller Offenbarungen. Und sie hatte definitiv zu viel getrunken, wie sie jetzt an ihrem dröhnenden Schädel spürte. Lange nach zwei Uhr hatte John sie über den stockfinsteren Pfad zurück zu ihrem Hotel geführt und sie dort wohlbehalten abgeliefert.
Sie wälzte sich auf die andere Seite, drückte ihren Kopf tiefer ins Kissen und versuchte wieder einzuschlafen. Unangenehm laut drang das Ticken der Wanduhr in ihr Bewusstsein. Bilder trieben durch ihre Gedanken. Bilder von Steinplatten, bronzenen Statuen mit schwirrenden Flügeln, Priestern mit konischen Kopfbedeckungen und langen, ornamentgeschmückten Dolchen. Und immer wieder tauchte ein Name auf: Pasusu.
Mühsam richtete sie sich auf. Es hatte keinen Sinn. Sie würde ja doch nicht wieder einschlafen. Völlig erschlagen rieb sie sich die Augen. Norman Stromberg hatte nichts unversucht gelassen, um sie zu beeindrucken, und Hannah musste sich eingestehen, dass ihm das gelungen war. Hinter der Scheibe verbarg sich weitaus mehr, als ihr anfänglich bewusst gewesen war. Allein diese Erkenntnis hatte den weiten Weg nach Schottland gerechtfertigt.
Sie stellte sich auf die Füße, schlurfte ins Bad und begann umständlich mit der Morgentoilette.
Ein Stunde später, nach einer ausgiebigen Dusche und einem ebensolchen Frühstück, fühlte sie sich wieder lebendiger. Draußen vor dem Fenster kreischten die Möwen, und der Himmel versprach einen sonnigen Tag. Sie verließ das Hotel und trat auf den Vorplatz. Die salzgeschwängerte Seeluft wirkte belebend und tat ihrem schweren Kopf gut. Sie wollte bei klarem Verstand sein, wenn sie mit Stromberg redete. Insgeheim hoffte sie immer noch, ihn zu einer Herausgabe der Steinplatte bewegen zu können. Sie wollte gerade zu seinem Anwesen hinübergehen, als ein Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Scheinwerfer aufblitzen ließ. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Sie hörte, wie der Motor angeworfen wurde, dann sah sie den silbermatten Mercedes auf sich zurollen. Hinter der dunkel getönten Windschutzscheibe erkannte sie John, der breit lächelnd hinter dem Lenkrad saß. Als der Wagen neben ihr stand, lehnte er sich herüber und öffnete ihr die Tür. »Guten Morgen, Hannah, so früh schon auf den hübschen Beinen? Komm, steig ein.«
Hannahs Zunge war zu schwer, um mit einer frechen Bemerkung zu kontern. Außerdem wollte sie John auf Abstand halten. Jeder Strohhalm, den sie ihm reichte, würde ihn anstacheln, weiter um sie zu buhlen. Die Sache war ohnehin schon völlig außer Kontrolle geraten. Sie setzte sich in den sündhaft weichen Ledersitz und schnallte sich an. »Wohin fahren wir?« »Erinnerst du dich nicht?« John trat aufs Gas. »Norman hat dich für heute Morgen eingeladen.«
»Tatsächlich?« Hannah fiel beim besten Willen nicht ein, was sie gestern besprochen hatten. »Es ist eindeutig noch zu früh für mich. Hilf mir auf die Sprünge.«
»Lass dich einfach überraschen.« John schaltete hoch und beschleunigte zügig. Sie fuhren Richtung Westen. Die kurvige Küstenstraße flog nur so unter ihnen hinweg. »Ich war ziemlich überrascht, dich hier anzutreffen«, sagte Hannah nach einer Weile. »Du hättest mich ruhig vorwarnen können.
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